BAD SODEN – Eine gemütliche Sitzecke im Stil der 60er Jahre, eine alte Nähmaschine und viele andere Einrichtungsgegenstände geben dem Raum einen gewissen Retrocharme. Das ist kein Zufall. Denn wer hierher kommt, kann sich oft nicht mehr an das erinnern, was gerade war, während Erlebnisse aus Kindheit und Jugend umso präsenter sind. Das Phänomen Demenz hat viele Facetten. Es gibt viele Familien, die von der Erkrankung leidgeprüft sind.
Die Räume in der Kelkheimerstraße 60A sind für Familien mit Angehörigen, die an Demenz erkrankt sind, eine wichtige Anlaufstelle. Hier können die Betroffenen tageweise betreut werden, sie bekommen intensive Zuwendung, während die pflegenden Angehörigen eine Auszeit von dem oft anstrengenden Alltag nehmen können. Wer hier in die Einrichtung kommt, ist in erster Linie Gast und nicht so sehr Patient. Das ist dem Initiator der Einrichtung, Manfred Burkart, sehr wichtig. Er ist Diplom-Psychologe und niedergelassener Psychotherapeut mit eigener Praxis in Bad Soden seit über 35 Jahren.
Seit über einem Jahr gibt es die TTS – Therapeutische Tagesstätte. Manfred Burkart erzählt, wie es dazu kam. „Angehörige von Demenzkranken kamen in meine Praxis und waren nahe am Burnout. Diese Schicksale, die einem wirklich zu Herzen gehen, waren der Auslöser für den Entschluss, diese Einrichtung ins Leben zu rufen.“ Denn vorher gab es das nicht in Bad Soden, und der Bedarf ist groß. Betroffene brauchen wirksame Hilfe und pflegende Angehörige Unterstützung.“
Einrichtung sucht ihresgleichen

Das einjährige Jubiläum der Therapeutischen Tagesstätte (TTS) war Anlass für den Vorstand der SPD Bad Soden, diese soziale Einrichtung zu besuchen und sich deren besonderes Profil erklären zu lassen. „Wir als SPD halten es für sehr wichtig, dass es Einrichtungen wie diese Tagesstätte gibt, die es den Betroffenen ermöglicht, weiter in ihrer vertrauten Umgebung bei der Familie zu wohnen“, sagt die SPD-Vorsitzende Friederike Wiertulla. ?
Demenz beginnt meist schleichend und es gilt sie aufzuhalten. Zwar gibt es bisher keine wirklich wirksamen Medikamente dagegen. „Aber es gibt Hoffnung“, erläuterte Burkart. „Durch eine Kombination von Therapie und intensiver Betreuung kann man fortschreitende Demenz verzögern und zeitweise sogar anhalten. Motorisches Training und kognitive Übungen, aber auch Themen wie Spiritualität können den Verlauf positiv beeinflussen.“
Kartoffelschälen als Therapie
In der Therapeutischen Tagesstätte für Demenzbetroffene wird dieser kombinierte Ansatz praktiziert: Die Gäste werden nicht nur betreut, sondern auch therapiert. In dem hochqualifizierten Betreuungsteam kümmert sich die Betreuungsfachkraft Erika Steinheimer und die Ergotherapeutin Andrea Sußmann darum, die Menschen zu aktivieren. Das geschieht durch biografische Gespräche, Spiele, Singen oder auch durch Tätigkeiten in der Küche wie Kartoffelschälen oder Abtrocknen. Es können bis zu zehn Gäste am Tag aufgenommen und von 9 bis 16 Uhr betreut werden. Die Gäste werden früh mit einem Kleinbus von zuhause abgeholt und in die Tagesstätte gebracht. Dort gibt es erst einmal ein gemeinsames Frühstück.
Dann beginnt die Therapiephase, in der die Ergotherapeutin gezielt zu Übungen anleitet. Gekocht wird für das gemeinsame Mittagessen vor Ort. Nach Möglichkeit werden die Gäste in die Tätigkeiten eingebunden. Nachmittags können sich die Gäste hinlegen oder einen Spaziergang an der frischen Luft machen. Wenn die Gäste dann abends heimgebracht werden, haben sie einen erfüllten und abwechslungsreichen Tag erlebt. Durch die Therapie in der Gruppe und durch individuelle Einzelbetreuung fangen manche wieder an, ganze Sätze zu sprechen, längst vergessene Lieder zu singen und ein Stück weit wieder der Mensch zu sein, der sie einmal waren. „Es ist beeindruckend, was hier mit viel Idealismus und Einsatz geleistet wird“, sagte die Vorsitzende des Sozialausschusses, Heidi Truntschka, nach dem Besuch in der Tagesstätte. „Es ist auch deutlich geworden, dass unsere Gesellschaft beim Suchen nach einem adäquaten Umgang mit Demenzbetroffenen erst am Anfang steht.“