Das alles geschieht vor 100 Jahren, im Jahr 1906, als Sodener Bürger sich dazu entschließen, einen eigenen Ortsverein der SPD aufzubauen.
Diese Meldungen aus der Chronik der deutschen Sozialdemokratie zeigen, dass die SPD nach der Gründung des Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein durch Lassalle im Jahr 1863, also in den nun über 40 Jahren nach ihrer Gründung eine machtvolle Organisation aufgebaut hat: Sie ist 1906 in Deutschland die stärkste Partei nach Mitgliederzahlen und nach Wählerstimmen. Zunächst eine reine Arbeiterpartei hat sie mittlerweile ihre Anhänger nicht nur bei den Arbeitern der Industriestädte sondern auch in vielen kleinen und landwirtschaftlich strukturierten Gemeinden, bei Bauern und Handwerkern. Zu Recht nimmt der heutige OV Bad Soden den 30. Juni des Jahres 1906 als Gründungstermin an. Das Verzeichnis der SPD Ortsvereine im Main – Taunus – Kreis zeigt am 1. Juli 1905 in Bad Soden ein Einzelmitglied, im Juni 1906 aber plötzlich 41 Mitglieder. Der Zugang von 40 Mitgliedern ist mit ziemlicher Sicherheit der Gründung eines lokalen SPD-Vereins zuzuschreiben und dies wiederum ist der Tatsache zu danken, dass damals viele Arbeiter in Höchst beschäftigt, in Bad Soden wohnten, von wo sie täglich zu Fuß den Weg zur Arbeit nahmen.
Der eigentlichen Gründung des Ortsvereins sind jedoch eine Reihe von Vorläufern vorausgegangen. In zwei Büchern finden sich Hinweise, dass der Gründer des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins Ferdinand Lassalle, im Juli 1861 mit seiner Freundin der Gräfin Sophie von Hatzfeld, in Bad Soden zur Kur weilt, wo die beiden eine Italienreise vorbereiten.
Von hier aus schrieb er nämlich an Karl Marx in London und bat um Empfehlungsschreiben an den italienischen Revolutionär Garibaldi, den die beiden auf ihrer Italienreise aufsuchen wollten. Bei einem Ausflug nach Eppstein tragen Lassalle und Hatzfeld sich ins Gästebuch der Stadt ein.
Dreißig Jahre später gibt ein handgeschriebenes Protokoll aus dem Staatshauptarchiv einen weiteren Hinweis: Danach nehmen an einem SPD-Parteitag für Hessen und Nassau im Februar 1891 in Frankfurt nicht nur 4 Delegierte aus Offenbach teil, dazu der Reichstagsabgeordnete und spätere Staatspräsident Carl Ulrich aus Offenbach sondern auch ein Teilnehmer aus Bad Soden, namens Conrad Petermann.
Ein Mitglieder-Verzeichnis des Kreiswahlvereins im ersten Nassauischen Wahlkreis, ebenfalls aus dem Wiesbadener Staatshauptarchiv führt unter den 342 Mitgliedern auch ein Einzelmitglied aus Bad Soden auf: einen Schreiner namens Fritz Petermann, geboren am 24. Juli 1878 in Soden, SPD-Mitglied seit dem 9. Januar 1903. Er dürfte wohl zu jenen gehört haben, die 1906 in Bad Soden den Ortsverein gründeten.
Irgendwann nach der Gründung des Ortsvereins tritt ein weiterer Schreiner ins politische Leben der Gemeinde: Jakob Wenzel aus Darmstadt, er ist Funktionär des Deutschen Holzarbeiterverbandes und seit 1903 Mitglied der SPD. Er ist seit 1913 Geschäftsführer des DHV in Höchst und dort auch Vorsitzender des Höchster Gewerkschaftskartells. Wohnhaft in Bad Soden wird Wenzel bei der ersten demokratischen Gemeindewahl in Preußen am 16. November 1919 als Gemeindevertreter gewählt und im Dezember des Jahres vom Landrat zum „Gemeindeschöffen“ ernannt (das war damals der Vertreter des Bürgermeisters). Bei der ersten Kreistagswahl am 23. August 1920 kommt er in den Kreistag des Kreises Höchst, ebenso bei den folgenden Kreistagswahlen 1921 und 1925. Während des Ruhrkampfes und der Separatistenaktion von 1923 wird Wenzel mit seiner Familie von der französischen Besatzungsmacht aus dem Kreis Höchst ausgewiesen und findet Asyl in Darmstadt.
Zurück in Soden wird Jakob Wenzel als SPD Spitzenkandidat in den Kreistag des neuen Main- Taunus-Kreises gewählt. Er wird Fraktions vorsitzender später ehrenamtliches Mitglied im Kreisausschuss. Wir sehen Jakob Wenzel hat sich um Bad Soden und den Kreis in vieler Hinsicht verdient gemacht. Er stirbt am 25. April 1929. Die Freie Presse Höchst würdigt Jakob Wenzel als einen Menschen von seltenen Eigenschaften und Fähigkeiten mit dem Talent im politischen Kampf als disponierender, als produktiver Kopf aufzutreten. „Er besaß Initiative, Mut und Ausdauer“ schreibt die Zeitung. Von solcher Art waren die Menschen, die sich damals mit voller Energie in die kommunalpolitischen Aufgaben stürzten.

Ein anderes Beispiel für viele in der SPD ist der spätere Ehrenstadtrat Johann Malinowski. Geboren 1883 in Höchst, tritt er nach Ende seiner Schlosserlehre 1901 in den Deutschen Metallarbeiterverband (DMV) ein und 1906 in die SPD. In den Jahren 1904 bis 1914 wird er wegen politischer und gewerkschaftlicher Tätigkeit mehrfach entlassen und auf den „schwarzen Listen“ der Arbeitgeber geführt. Das war hart für die Familie. Malinowski hat 1904 Lise Kühfuß, eine gebürtige Schweizerin, geheiratet. Das Paar hatte 3 Kinder.
Als Teilnehmer des ersten Weltkriegs (1914 – 1918) ist er kaum aus der Gefangenschaft entlassen, da stellt er sich erneut seiner Partei und Gewerkschaft zur Verfügung. 1923 übernimmt er den Vorsitz im SPD – Ortsverein Bad Soden. Im gleichen Jahr wird er in die Gemeindevertretung gewählt. Diese Ämter hat er bis 1933 inne. Der Höchster Freien Presse (FP) verdanken wir die Namen der Kandidaten zur Gemeindewahl im November 1929: Auf Platz 1 steht der Lagerhalter Jakob Schüßler, auf Platz 2 der Kaufmann Ernst Eulenstein – und als Dritten unter den 24 Namen den Schlosser Johann Malinowski.
Am 18. März 1930 berichtet die FP Höchst von einer Generalversammlung des Ortsvereins, die den alten Vorsitzenden Malinowski wieder wählte. Auch stimmt die Generalversammlung dem Vorschlag zu, eine gemeinsame Maifeier mit Sulzbach im „Rheinischen Hof“ abzuhalten. Dann kommt es noch zu einer lebhaften Debatte über Fragen der Orts- und Reichspolitik. Es wird festgelegt, dass der Genosse Holzapfel am 5. April über die „Weltwirtschaftspolitik“ sprechen soll.
Nach der Machtübernahme der Nazis arbeitet Malinowski in einer kleinen Gruppe von Genossen gegen die Nazis; d. h. er hat an heimlichen Treffen mit anderen Sozialdemokraten teilgenommen und sozialdemokratische Zeitungen erhalten und weiter vertrieben. Ziel dieser Aktionen war es, den Zusammenhalt der SPD zu bewahren und die Bürger über die verhängnisvolle Entwicklung Deutschlands unter den Nazis zu informieren.
Insbesondere ging es um die „Sozialistische Aktion“, eine Zeitung die im Ausland gedruckt, über Mannheim nach Deutschland gebracht und über kleine Gruppen verteilt wurde.
Im Oktober 1935 wurde Johann Malinowski verhaftet. Mit 62 weiteren Genossen aus dem Main-Taunus-Kreis wurde er wegen „Vorbereitung zum Hochverrat“ angeklagt und zu einem Jahr und 6 Monaten Haft im Lager Börgermoor verurteilt. Nach seiner Haftentlassung im Juni 1937 gingen die Schikanen der Nazis weiter. Für lange Zeit erhielt er nirgendwo eine Beschäftigung. Endlich fand er 1939 eine Anstellung bei der Firma Samson in Frankfurt und 1944 in Bad Soden.
1945 kam mit dem Zusammenbruch des Dritten Reiches die lang erwartete Befreiung vom Naziregime. Als die führenden Nazis geflüchtet waren, stellten sich auch in Bad Soden beherzte Männer wie Malinowski zum Wiederaufbau zur Verfügung. „Es war nicht immer leicht den Befehlen und Wünschen der Besatzungsmacht nachzukommen“ schrieb Malinowski über diese Zeit, „aber es wurde geschafft!“
Die Main-Kraftwerke stellten ihn wieder ein. Als Betriebsobmann hatte er das Vertrauen seiner Kollegen. Bei der ersten Kommunalwahl nach dem 2. Weltkrieg im Sommer 1946 wurde Malinowski wieder in die Gemeindevertretung gewählt und gehörte ihr für weitere 10 Jahre an. 1956 wurde er zum Ehrenstadtrat ernannt. Später wurde ihm das Bundesverdienstkreuz verliehen.
Die Stadt Bad Soden dankte ihm an seinem 80. Geburtstag mit der Verleihung des Ehrenringes.
Nur wenige Tage danach, verstarb Johann Malinowski. Sein Lebensweg zeigt ihn als vorbildlichen Demokraten, der trotz aller Unterdrückung seinen Prinzipien treu blieb.
Text: Wolfgang Reuter